Warum Sie doch mit den anderen von der Brücke springen.
Nehmen wir an, Sie stehen mit mehreren Personen an einer Ampel: Weit und breit ist kein Auto in Sicht. Trotzdem warten Sie ganz brav auf das grüne Licht. Es kommt jemand Neues dazu, der trotz rot über die Strasse geht. Nun können Sie beobachten, wie Leute, welche vorher mit Ihnen gewartet haben, plötzlich trotz rot ebenfalls die Strasse überqueren. Warum? Social Proof.
Ein Beispiel aus meiner eigenen Beobachtung als Barkeeper ist auch Trinkgeld. Es ist absolut klar, dass an einem Abend, an dem viel los ist, auch mehr Trinkgeld gemacht wird. Was jedoch spannend ist, ist die Wellenbewegung, welche dieses macht. Wenn Gäste während dem Warten beobachten, wie andere Gäste Trinkgeld geben, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese ebenfalls Trinkgeld geben, enorm. Dasselbe geht auch in die andere Richtung – gibt jemand kein Trinkgeld, werden auch die um ihn herum vermutlich keins geben.
Hier ein einfaches Experiment, welches Sie mit ein oder zwei Freunden selbst durchführen können: Schauen Sie mit Ihren Freunden in der Stadt gemeinsam in den Himmel und beobachten Sie, wie sich Fremde dazu gesellen und mit Ihnen in den leeren Himmel starren.
Wir könnten hier noch dutzende Beispiele aufzählen. Social Proof führt dazu, dass Sie Dinge tun, welche die Mehrheit der Menschen in gegebener Situation tun. Aber nur weil viele Menschen eine Idee gut finden, ist diese nicht automatisch gut.
Ein Experiment von Solomon Asch aus den 50ern zeigt auf, wie schwerwiegend dieser Bias ist. Einem Probanden wurden eine Referenzlinie und drei zusätzliche Linien gezeigt. Der Proband musste nun einschätzen, ob diese kürzer, länger oder gleich lang waren wie die Referenzlinie. Solange der Proband alleine war, war diese einfache Aufgabe natürlich kein Problem. Dann kamen aber Schauspieler hinzu, die dem Probanden als andere Probanden vorgestellt wurden. Diese gaben absichtlich falsche Einschätzungen der Linien ab. In 30% der Fälle gaben nun auch die Probanden eine falsche Einschätzung ab.
Auch Trickbetrüger auf der Strasse nutzen diesen Effekt. So sehen Sie, wie andere bei einem Hütchenspiel viel Geld gewinnen, alle drei vor Ihnen haben gerade 100.- gewonnen. Dass diese alle zum Trickbetrüger gehören und Ihnen einfach nur ein falsches Gefühl von Sicherheit vermitteln, werden Sie wohl erst zu spät merken.
Dies kann harmlos sein, wie in den Beispielen, kann aber gefährliche Dynamiken erzeugen. Es ist der Grund, warum wir Blasen und Paniken an der Börse haben. Man findet diesen Bias beim Kauf von Mode und Elektronikgeräten (denken Sie nur mal an Apple), in Ihrem Essverhalten aber auch bei Religionen und Sekten, denken wir an Beschneidungen und Gruppensuizide.
Erinnern Sie sich an Ihre Eltern? Haben die Sie damals nicht auch gefragt, ob wenn andere von einer Brücke springen, Sie dies auch tun würden? Was haben Sie geantwortet?
Woher dieser Bias kommt, lässt sich evolutionär-biologisch gut erklären. Wenn vor 50’000 Jahren auf der Jagd in der Serengeti Ihre Freunde plötzlich weggerannt wären, wären Sie wohl nicht stehen geblieben und hätten erst analysiert, ob dieses Tier ein Löwe ist oder etwas Harmloses, was gerade nur wie ein Löwe aussah. Der Social Proof schaffte uns einen Überlebensvorteil. Jedoch ist dieser so tief verankert, dass wir ihn auch da benutzen, wo er absolut keinen Sinn macht.
Dieses Verhalten führt auch zum sogenannten Bandwagon-Effekt oder zu deutsch Mitläufereffekt und wird aktiv genutzt, um Menschen zu manipulieren. Ja, auch Sie. Werbung z.B. tut dies andauernd. Ob nun Diäten, Putzmittel oder politische Ideologien angepriesen werden, sie alle nutzen den selben Bias aus. Es werden Ihnen Dinge versprochen, welche Ihnen einen persönlichen Vorteil verschaffen oder Sie vor Nachteilen schützen. Dies wird gezielt so kommuniziert um genau diesen Effekt zu erzielen.
Ein erschreckendes Beispiel ist da auch die “Wollt ihr den Totalen Krieg”-Rede von Göbbels. Wenn sie jemanden einzeln befragen, wird wohl keiner sagen, dass er den totalen Krieg möchte.
Wir können diese gefährliche Dynamik auch heute sehr gut beobachten. Wir befinden uns mitten in einer Pandemie. Aber Verschwörungstheoretiker mobilisieren Menschen, um auf die Strasse zu gehen. Darunter auch Influenzer, welche ihre Reichweite nutzen, um noch mehr Menschen damit zu erreichen. Dies führt zu irrsinnigen Demonstrationen, Aberglauben und schliesslich dazu, dass diese Menschen einer Ideologie folgen, welche sie alleine nie unterstützen würden. Es werden seltsame Dinge geglaubt, welche näher betrachtet absolut keinen Sinn machen. Gefördert wird dies ganz klar auch durch die Social Media Bubble. Weil sie nur von Menschen umgeben sind, die Ihnen ähnlich sind und Sie nur Dinge sehen, mit denen Sie sich eh schon beschäftigen, werden Sie auch anfangen, Dinge zu glauben, wenn alle in Ihrem Umfeld diese glauben.
Wenn Sie nun nächstes mal Werbung sehen für einen Bestseller, also ein Buch, das viele Menschen kaufen, denken Sie zweimal darüber nach, ob Sie dieses Buch wirklich wollen.
Quellen:
Asch, S. E. (1956). Studies of independence and conformity
Rolf Dobelli – Klar Denken, Klug Handeln Kapitel 5
Wolfgang J. Koschnik, Standardwörterbuch für die Sozialwissenschaften
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